Singular - Texte

Singular – Disco

Hallo Elli,

ich bin noch ganz groggy, spüre jeden Knochen im Leib und überall habe ich Blutergüße und Kratzer, aber das war es wert! Denn Fredrik und ich waren gestern bei einem Halal-Tanz. Nicht nur als Zuschauer, als Teilnehmer!!!

Du hast bestimmt schon Aufnahmen von solchen Tänzen gesehen. Aber selber mittendrin zu sein … furchterregend, schrecklich, wunderwunderschön!

Als wir oben am der Hang der Tanzgrube standen, hat uns kurz der Mut verlassen. Unter uns eine unüberschaubare Masse von Halal, ein wogendes Meer aller nur denkbaren Blauschattierungen. Der Lärm war ohrenbetäubend. Das Trampeln der Hufe, die dumpfen Klatscher ihrer Greifhände auf das Exoskelett und dann dieses Schnarren. Elli, eines Tages musst Du das selber hören. Dieses trommelfellzerfetzende Schnarren, wenn zehntausende von Beinen aneinander gerieben werden, verstärkt durch all die mitvibrierenden Hohlräume im Aussenpanzer. Fredrik hat nur für einen Moment die Ohrimplantate rausgenommen und hat beinahe sein Gehör verloren. Selbst mit den Implantaten war es kaum auszuhalten. Wir haben uns dann Nargon gespritzt, um die Gehörnerven für eine Weile zu betäuben, denn wir wollten ja nicht nur oben stehen und zuschauen, sondern uns mitten in die Menge stürzen.

Auf dem Weg den Hang hinunter wurden wir immer wieder von 3ern und sogar einem schüchternen 2er angesprochen, die uns empfahlen doch bitte umzukehren. Nicht, weil man uns etwas verbieten wollte, sondern weil die Halal dachten, wir könnten als zarte, zerbrechliche und weichhäutige Vertebraten-Spezies ernsthaften Schaden nehmen. Die Halal sind uns in so vielen Dingen fremd und unverständlich, aber hier, hier habe ich gefühlt tatsächlich Teil der Familie zu sein, in die uns die Jenayii aufnehmen wollen. Wir waren willkommen und man hat sich ernsthaft Sorgen um unser Wohlergehen gemacht. Doch nachdem wir auf unsere Schutzkombis gezeigt und vorführweise ganze Arm- und Beinabschnitte verhärtet haben, ließ man uns wieder ziehen.

Unten angelangt hatten wir noch einen intensiven „Was um alles in der Welt machen wir hier?“-Moment. Der Boden vibrierte. Die Luft um uns herum vibrierte. Wir vibrierten bis tief in unsere Eingeweide hinein. Doch der Rythmus, Elli, dieser Rythmus!

Zuerst sind wir einfach entlang des äusseren Kreises mitgelaufen. Ständig kamen Neuankömmlinge hinzu, reihten sich ein, erschöpfte Halal verließen den Kreis. Alles, ohne dass dabei etwas aus dem Takt geriet, ohne dass das langsame Kreisen um den Mittelpunkt der Tanzgrube aufhörte. Dann war es soweit. Die Kapuzen übergezogen, verhärtete sich die Kombi an ganzen Körper, an den Gelenken weniger steif, so dass wir zwar mehr Kraft aufwenden mussten, aber uns weiterhin frei bewegen konnten. Um den Hals blähte sich zusätzlich eine Schutzwulst auf, um das Genick zu stabilisieren. Dein Vater und ich waren zwar gestern wahnsinnig, aber nicht lebensmüde. Den Takt abpassend, betraten wir den Aussenring.

Laut Chronometer waren wir wohl etwa eine halbe Stunde im Tanzkreis. Mir kam es vor wie nur ein Augenblick. Oder ein halbes Leben. Ohne Nargon wären wir trotz Ohrenschützern taub geworden. Ohne die Schutzkombi wären wir in Fetzen gerissen und zu Brei zermalmt worden. Schritt, Körperdrehung, Aufstampfen, mit der offenen Hand den Vorderhalal auf die „Brust“ schlagen, selber einen Schlag wie von einem Pferd einstecken, ins Taumeln geraten, Halalbeinen ausweichen, zähneklappernd (weil alles vibrierte) der nächste Schritt, Herzrasen, Panikattacke, Körperdrehung, Aufstampfen, Ausweichen, immer weniger oft stolpern, Schlagen, nächster Schritt.

Fredrik denkt, dass wir etwa zu einem Drittel ins Innere vorgestoßen sind, als unsere Kräfte nachliessen und wir den Rythmus nicht mehr halten konnten. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie wir wieder nach Draussen gelangt sind. Die Anzugaufzeichnung zeigt, wie wir von umgebenden Halal wieder aus dem Kreis geschoben wurden, ohne dass dabei auch nur ein Tänzer aus dem Rythmus kam. Den Hang haben wir nur kriechend erreicht und ohne Aufputschmittel und Motorikunterstützung der Kombi es niemals wieder nach oben geschafft. Ich konnte noch mit letzter Kraft eine Plattform anfordern, Fredrik war ohnmächtig geworden, seine Kombi hat ihn die letzten Meter selbstständig nach oben befördert.

Mittlerweile geht es uns wieder ganz anständig. Was für ein Erlebnis.

Früher haben wohl nur Nees getanzt, quasi als Vorspiel und Erregungssteigerung, um dann im Kreisinneren ihr genetisches Material abzulegen. Wir haben Aufzeichnungen solcher Prokreationstänze gesehen. Die Intensität der Bewegungen, die Kraftausübung ist um Größenordnungen heftiger als das, was wir gestern erlebt haben. Einen solchen Tanz hätten wir trotz Schutzkombi nicht mal fünf Minuten lang überlebt. Nur starke, gesunde Nees erreichen das Kreisinnere. Dank moderner Medizin und Vorsorge wird heute zwar kaum noch ein Nees vor der Ablage zu Tode getrampelt, obwohl es immer wieder zu Unfällen mit Todesfolge kommt. Denn ein Nees-Tanzkreis hält nicht an, da nimmt niemand Rücksicht, weil die Tänzer nur ein Ziel kennen. Das Kreisinnere erreichen, ihr genetisches Material ablegen. Die Halal glauben, entgegen allen Erkenntnissen der Genetik und belustigten Kommentaren der Jenayii, diesen Unsinn doch bitte sein zu lassen, dass sie dadurch im Laufe der Jahrtausende allmählich das Pech aus ihrem Genpool ausscheiden, die Kebbhalalneesfir der Zukunft die Glückskinder des Universums sein werden.

Nach der Ablage interessiert es übrigens niemand, was mit einem Nees passiert. Die meisten schaffen es zwar so irgendwie den Kreis wieder zu verlassen, sterben aber schnell an Entkräftung. Die, die es nicht schaffen, werden zu Brei und Splittern zertreten. Eine blau-grüne Masse, die irgendwann knöchelhoch den Boden der Tanzgrube bedeckt. An den Hängen sterbende Nees, taumelnde Nees, tote Nees, auf ihre Weise aber wohl glückliche Nees, denn sie haben erreichen können, was ihr biologischer Imperativ verlangt hat. Bei manchen Nees dauert das Sterben viele Stunden. Ich weiß nicht, ob sie noch bei Bewusstsein sind. Die Fir sagen dazu nichts. Die Fir sagen eh wenig. Denn ganz selten überlebt ein Nees. Setzt sich plötzlich wieder in Bewegung, hat irgendwo noch Kraftreserven übrig. Sucht Nahrung. Isst. Schläft. Isst wieder. Schläft. Was weder Kebb, noch Halal und natürlich kein einziger Nees macht während der wenigen Tage seiner Existenz. Die überlebenden Nees schlafen. Und verändern sich im Schlaf, sie werden Fir. Der Körperpanzer bleicht aus, Sehnen werden spröde und das Muskelgewebe verkümmert. Stell Dir einen alten Menschen vor, der allmählich verschrumpelt und eintrocknet. So wirkt ein Fir gegenüber einem Halal. Doch die Fir sterben nicht. Sie leben noch lange, viele hundert Jahre. Eine Mutation. Ein Zufall der Natur hat die Fir geschaffen. Nicht tot, auch nicht wirklich lebendig.

In der Aufzeichung sieht man, wie ein Fir sich langsam auf einen Nees zubewegt, der inmitten seiner toten Artgenossen steht. Er berührt ihn ganz vorsichtig mit seinen Armen und führt ihn dann weg. Um ihn zu füttern, ihn ins Bett zu bringen. Seit Wochen versuche ich übrigens Zutritt zur Fir-Enklave zu bekommen. Die Halal verschränken nur desinteressiert die Arme, wenn ich sie darauf anspreche. Das sei Sache der Fir, sagen sie. Und neigen dabei ihre Sensorknospe, als wollten sie nicht glauben, was ich vorbringe. Wieso will jemand die Fir sprechen? Was um alles in der Welt soll dadurch erreicht werden?

Die Halal tanzen natürlich nur zum Spaß. Der Tanz ist für sie Unterhaltung und wie alles, was die Halal in ihrer „Freizeit“ tun, auch gleichzeitig Bekräftigung und Bestätigung der Kastengesellschaft. Man tanzt nach einem festen Rythmus, der zwar je nach Brutgemeinschaft unterschiedlich sein kann, aber sich innerhalb einer Gemeinschaft über die Jahrtausende hinweg kaum verändert hat. 2er bleiben aussen, 3er bilden das Kreisinnere und alle zusammen tanzen sie als Einheit. Jeder an seinem Platz und alle für die Gemeinschaft. Weisst Du, Elli, dass 4er so gut wie nie tanzen? Ich habe einen danach gefragt und wenn Du mal einen peinlich berührten Halal sehen willst, der am liebsten im Erdboden versinken würde, frag einen 4er, ob er auch tanzt. No, 4er don’t dance! Ein kulturelles Tabu. Ganz, ganz großes NoNo! Halt der überhebliche Halal-Adel. Nach meinen Infos irgendein Relikt aus den Zeiten, als kein Halal auch nur daran dachte einen Nees-Tanzkreis nachzuahmen.

Das war es für dieses Mal, Elli. Dein Vater grunzt liebe Grüße rüber, weil er zu schwach zum Aufstehen ist, der Schwächling!

Mach es gut und mach es besser! Ich liebe Dich!

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10 Gedanken zu “Singular – Disco

  1. Schönes Setting, schöne Atmosphäre und eine lebendige Szene. Ein paar Sätze, die einfach nicht schön sind (“hier habe ich gefühlt tatsächlich Teil der Familie zu sein”) oder, wegen der zwei “hat”: “Fredrik hat nur für einen Moment die Ohrimplantate rausgenommen und hat beinahe …”, ein paar grammatisch falsche (“Was weder Kebb, noch Halal und natürlich kein einziger Nees macht …” – heißt ja dann eigentlich: was weder Kebb macht/machen) sowie ein paar Phrasen, bei denen ich generell vorsichtig wäre (“trommelfellzerfetzend” oder “Dann war es soweit”). Außerdem hier nochmal, hmmm, die Regel für “ß”: Nach kurzen Vokalen “ss”, nach langen Vokalen “ß” (Muss also heißen: äußerer Kreis, Außenpanzer, einließen, Außenring, nachließen, draußen, weißt). Und auch der “Rhythmus” wird selbst in der neuen Rechtschreibung noch, soweit ich weiß, mit zwei “h” geschrieben :-).
    Sollte Dir dieser Formalkram nicht wichtig sein, einfach sagen, dann lass ich solche Belehrungen in Zukunft natürlich sein. Hängt eben davon ab, wie “literarisch” Du Dich selbst und Deinen Text siehst …
    Grüße und weiter viel Schreiblust!

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  2. Dieser Text enstand als spontaner Einfall, nachdem ich einige Stunden lang Details einer Spezies ausgearbeitet hatte und bemerkte, dass ich beginne die Jungs ziemlich zu mögen. Ob ich ihn in der Form verwenden werde, weiß ich noch nicht. Ich weiß derzeit noch ziemlich viel nicht 🙂 … stelle aber immerhin fest, dass es voran geht. Dieser Text soll auch ein Lebenszeichen sein (es geht voran) und einen ersten Blick auf eines der Völker der Sternenherde bieten.

    Hier jedoch würde ich mir erlauben gegenüber meinem Lektor anzumerken, dass die Mutter keine Literaturprofessorin ist. Natürlich macht sie grammatikalische Fehler, natürlich schreibt sie nicht perfekt. Das ist ein persönlicher Brief an ihre Tochter. Die auch keine Literaturprofessorin ist. Das ist nicht mein Text, das ist ihr Text, ich zitiere sie lediglich. Meine Fehler sind ihre Fehler! Haha!

    Aber grundsätzlich, kann mich da nur wiederholen, merke an, was Du anmerken möchtest. Dass ich beim Schreiben einen Dreck auf Rechtschreibung und Grammatik gebe, weil mich die Leidenschaft des Moments packt, ist mir bewusst und wäre ich mit dem Roman von meiner Seite aus fertig, ich würde mich freiwillig der Knute eines Lektors aussetzen wollen.

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  3. Der Punkt „Eine-Mutter-schreibt-an-ihre-Tochter“ geht natürlich einerseits an Dich, andererseits auch wieder nicht. Ich will als Leser keine Mütter-Briefe lesen, die voll Fehler oder (im schlimmsten Fall) langweilig oder sonst was sind. Insofern zieht das Argument nur, wenn Du absichtlich eine „schlechtere“ Schreibe in diesem Brief einbaust, um was auch immer zu zeigen (bestes Beispiel „Flowers for Algernon“ von Daniel Keyes, wobei mir die ursprüngliche Erzählung „Charly“ eben ob ihrer Kürze noch besser gefällt).
    Aber ist ja auch worscht; ich hab mich jedenfalls gefreut übers Lebenszeichen.

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  4. Ja, ja 🙂
    Nochmal zum „Merke an, was Du anmerken willst“. Das war jetzt gar nicht so mein Punkt, denn ich „muss“ ja nun wahrhaftig nicht den Lektor spielen. Meine Frage war einfach, ob solche Kommentare für Dich einen Mehrwert haben oder eben nicht. Träfe letzteres zu, würd ich mir das rechtschreiblich-grammatische schenken und nur sagen, was mir gefällt oder nicht.

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  5. Da will ich Dir natürlich keine Vorgaben machen. Kommentiere bitte aus freien Stücken das, was Dir einen Kommentar wert ist.

    Was ich an Texten derzeit geschrieben habe, sind kurze Vignetten, in denen ich schlaglichtartig die Welt zum Leben erwecke, um ein besseres Gefühl für sie zu bekommen, um während des Schreibens weitere Ideen zu bekommen. Dass Ellis Eltern eine gewisse Rolle spielen, war bislang nur eine Randidee. Jetzt ist sie konkreter geworden und ich merke, dass da nicht nur zwei Personen sind, damit Elli Eltern hat, sondern sie haben Profil gewonnen. Ich weiß jetzt, wer das ist! Und was diese Personen gemacht haben. Was wiederum bedeutet, dass ich wieder mehr über meine Hauptfigur weiß.

    Und so schnitze ich Stück für Stück diese Geschichte aus meinem Gehirn.

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  6. Wäre ich bei Facebook, würde ich für Dein „Schnitzen“ ein „Gefällt mir“ klicken. So schreib‘ ich’s nur. Ein Hoch auf das Handwerk. Wie weiland Michel aus Lönneberger seine Figuren, so formt der Schreiber seine Helden. Ich wünsch‘ Dir weiter gute Arbeit – und nicht schneiden 🙂

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  7. Lieber Harzzach,
    da Du mich nicht nur seit Jahren mit Deinem „Senior Gamer“ erfreust, sondern mich mit diesem Schreibprojekt hier inspiriert hast, eine läng geplante Sache endlich durchzuziehen, betrübt es mich umso mehr, dass Du im Singular-Universum grad wohl keine Zeit oder Lust hast. Gegen mangelnde Zeit kann ich nix machen, aber vielleicht kann ich Dich umgekehrt jetzt auch motivieren/inspirieren? Zumal die Proojekte sich ähneln. Egal, ich wünsch jedenfalls unzählige Inspirationsstrahlen aus’m Universum für Dich.
    Und profane Grüße von Simon aka „schreiber“
    http://www.einbuchwiekingsturm.wordpress.com

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  8. Hallo Simon,

    es ist noch alles da, meine Entwürfe, meine Hintergründe und Settings. Vor ein paar Wochen habe ich während des Urlaubs ein paar sehr fruchtbare Schreibtage gehabt. Tapetenwechsel hilft sehr beim Verlassen des geistigen Trotts, in den man geraten kann. Ansonsten hebt der Berufsalltag sein bitteres Haupt, Familie und Freunde wollen mit Aufmerksamkeit bedacht werden. Ist sich alles nicht so einfach 🙂

    Singular existiert noch, gesund & munter. Und wächst wie ein Baum. Langsam, aber stetig!

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